Treuhand & KI: Warum der Wissenslayer der echte Gamechanger ist

Zentrale KI ist ein guter Start – aber erst der eigene Wissens- und Datenlayer macht KI in Treuhandbetrieben treffsicher, prüfbar und wirklich nützlich. Mit Praxisbeispielen, Architektur-Logik und den drei Ebenen: Tools, Prozesse & Daten, Menschen & Kultur.

Marco Maier von veraint.ch

12/12/20255 min read

Die selten ausgesprochene Wahrheit zu Treuhand & KI – und warum der eigentliche Gamechanger im Wissenslayer liegt

TL;DR
Zentrale KI-Lösungen sind ein wichtiger Fortschritt. Der echte Mehrwert entsteht aber erst, wenn Treuhandbetriebe ihren eigenen Wissens- und Datenlayer strukturieren und KI damit arbeiten lassen: Mandatslogik, interne Weisungen, Prozesswissen, Qualitätsregeln. Ohne diesen Layer bleibt KI oft generisch – und im Alltag zu wenig treffsicher.

Wir reden gerade sehr viel über KI. Vielleicht über das Falsche.

In der Treuhandbranche passiert gerade Entscheidendes: Berufsverbände, Softwareanbieter und grosse Player bringen zentrale KI-Lösungen auf den Markt. Copilot-Ökosysteme werden ausgerollt, Branchen-GPTs entstehen, Kanzlei-Add-ons versprechen sofortigen Nutzen.

Das ist ein wichtiger Schritt nach vorne. Es senkt Einstiegshürden. Es macht Wissen schneller zugänglich. Es hilft bei Routineaufgaben. Und ja: Es nimmt vielen Teams die erste Scheu.

Trotzdem gibt es eine Frage, die wir selten offen stellen – weil sie unbequem ist:

Reicht zentrale KI wirklich aus, um Treuhandarbeit spürbar zu entlasten und gleichzeitig fachlich sauber, nachvollziehbar und verantwortbar zu bleiben?

Meine Antwort aus der Praxis: häufig nein. Nicht, weil zentrale KI schlecht wäre. Sondern weil Treuhand in ihrem Kern etwas ist, das zentrale KI nur begrenzt „sehen“ kann.

Treuhand ist kein Massenprozess.
Treuhand ist Kontext. Verantwortung. Interpretation. Mandatslogik.

Und genau deshalb liegt der eigentliche Gamechanger nicht im Modell – sondern im Wissenslayer deines Betriebs.

Zentrale KI ist ein Fortschritt. Aber Treuhand ist kein „Dokumentenberuf“.

Zentrale KI kann viel. Sie kann:

  • Standards vermitteln und erklären

  • Informationen schnell zusammenfassen

  • Texte strukturieren und Formulierungen verbessern

  • Routinefragen zügig beantworten

  • erste Entwürfe liefern

Das alles ist wertvoll. Aber es löst nicht das Kernproblem der Treuhandpraxis: unsere Arbeit ist selten Standard.

Treuhand besteht aus Nischen – tiefen Nischen:

  • Gesundheitswesen, Apotheken, Heime

  • Nonprofits, Stiftungen, kirchliche Organisationen

  • Landwirtschaft, Gastro, Bau, Handwerk

  • Start-ups, Scale-ups, internationale Strukturen

  • kantonale Spezialitäten, MWST-Sonderfälle, L-GAV-Logik

  • individuelle Mandatsabmachungen, Spezialkonti, interne Freigaben

In dieser Welt ist „Wissen“ nicht einfach eine Ansammlung von Dokumenten. Wissen ist gelebte Logik:

  • Wie wir buchen (und warum genau so)

  • Welche Regeln bei uns gelten (auch wenn sie nirgends offiziell stehen)

  • Welche Abkürzungen wir intern verwenden

  • Welche Ausnahmen wir in dieser Branche immer wieder sehen

  • Wie wir Qualität sichern (Vier-Augen-Prinzip, Prüfpfade, Dokumentation)

Zentrale KI kennt die Branche.
Aber sie kennt nicht dein Mandat, nicht deine Prozesswelt, nicht deine Spezialisierung.

Und hier kommt die selten ausgesprochene Wahrheit:
Solange KI dieses „Betriebswissen“ nicht verlässlich nutzen kann, bleibt sie – trotz grossem Potenzial – in vielen Momenten zu generisch.

Der fehlende Baustein: Der eigene Wissens- und Datenlayer

Wenn wir ehrlich sind, geht es nicht um „für oder gegen“ zentrale KI. Die richtige Frage lautet:

Wo liegt unser eigenes Wissen – und wie machen wir es für KI nutzbar, ohne die Kontrolle zu verlieren?

Mit Wissens- und Datenlayer meine ich genau den Teil, der in der Praxis den Unterschied macht, aber oft unsichtbar bleibt:

Was gehört in diesen Layer?

  • Internes Fachwissen: Weisungen, Merkblätter, Vorlagen, Erfahrungswissen, interne Standards

  • Mandatslogik: Kontenpläne, Spezialvereinbarungen, Entscheide, wiederkehrende Abmachungen

  • Prozesswelt: Abläufe, Rollen, Freigaben, Verantwortlichkeiten, Eskalationswege

  • Qualitätsrichtlinien: Vier-Augen-Prinzip, Dokumentationspflichten, Prüfpfade, Review-Standards

Solange dieser Layer nur in Köpfen, in E-Mails, in alten Ordnerstrukturen oder „irgendwo auf dem Laufwerk“ liegt, bleibt KI ein Gast in deinem Betrieb: nett, hilfreich, aber nicht eingebettet.

Erst wenn dieser Layer strukturiert angebunden wird – ob via Wissensdatenbank, RAG, Vektorsuche oder eine andere Architektur – wird KI zum Werkzeug, das deine Sprache spricht.

Dann entsteht eine andere Qualität:

  • KI, die eure internen Begriffe korrekt interpretiert

  • KI, die Spezialfälle erkennt, statt sie glattzubügeln

  • KI, die eure Prozesslogik respektiert

  • KI, die Vorschläge macht, die fachlich plausibel und prüfbar bleiben

Zentrale KI ist wichtig.
Aber der Unterschied entsteht dort, wo der eigene Layer dazukommt.

Warum „KI kaufen“ nicht funktioniert – und weshalb Spezial-Tools realistischer sind

In vielen Gesprächen mit Treuhänder:innen sehe ich zwei typische Missverständnisse.

Missverständnis 1: „Wir kaufen eine KI – dann sind wir bereit.“

KI ist kein Produkt, das man installiert.
Ohne klare Einbindung in Prozesse, Rollen und Wissen bleibt sie oft eine Spielerei – oder ein Pilot, der nach ein paar Wochen versandet.

Missverständnis 2: „Eine zentrale Lösung deckt alles ab.“

In der Treuhand wird es selten „die eine“ Lösung geben, die alles kann. Nicht, weil die Anbieter schlecht sind, sondern weil Betriebe verschieden sind: Spezialisierung, Softwarelandschaft, Kundensegmente, Qualitätsanforderungen.

Was in der Praxis funktioniert, ist meist ein Mix aus:

  • zentralen KI-Funktionen (Standard-Intelligenz, Sprache, Zusammenfassung, Entwürfe)

  • plus betriebseigenem Wissenslayer (Mandatslogik, Prozesse, Regeln, Qualität)

  • plus Spezial-Tools, die zur DNA des Betriebs passen (und sauber in Fibu/Lohn/DMS/CRM eingebettet sind)

Kurz: Nicht Einheitslösung. Sondern passgenaue Werkzeuge mit guter Architektur.

Die drei Ebenen, die entscheiden, ob KI im Alltag wirkt oder im Pilot stecken bleibt

Wenn ich KI-Projekte in Treuhandbetrieben anschaue, sehe ich ein Muster: Der Erfolg hängt selten nur von der Technik ab. Er hängt davon ab, ob drei Ebenen zusammenspielen.

1) Tools

Welche KI-Werkzeuge nutzt ihr – und wofür genau?
Nicht „alles“, sondern bewusst ausgewählt. Verständlich. Alltagstauglich.

2) Prozesse & Daten

Wie fliessen Wissen, Daten und Entscheidungen durch eure Organisation?
Welche Datenräume bleiben in eurer Hoheit? Welche Quellen gelten als „wahr“? Wo wird dokumentiert?

3) Menschen & Kultur

Gibt es Lernraum? Zeit? Vertrauen? Verantwortung?
Dürfen Mitarbeitende üben – oder erleben sie KI primär als Risiko und Sanktion?

Diese Ebene wird unterschätzt. Aber sie ist oft der Multiplikator.

KI kann technisch brillant sein. Wenn das Team aber keinen geschützten Rahmen hat, keine klaren Spielregeln kennt und keinen Nutzen im Alltag spürt, bleibt KI „etwas, das man theoretisch auch noch hätte“.

Die unangenehme Frage: Ist die Branche bereit für ihre neue Rolle?

Die technisch spannendste Frage ist nicht: „Welches Tool ist das beste?“

Die kritische Frage ist:
Wie schnell sind wir Treuhänder:innen bereit, unsere Rolle weiterzuentwickeln?

Mit KI verschieben sich Anforderungen:

  • weg vom reinen Buchen, hin zu datenbasierter Beratung

  • weg von „Vergangenheit erklären“, hin zu „Zukunft mitgestalten“

  • weg von Tool-Skepsis, hin zu Prozess- und Systemverständnis

  • weg von Abarbeiten, hin zu Mitdenken, Prüfen, Entscheiden

Das bedeutet: andere Kompetenzen, andere Verantwortung, andere Haltung.
Die Transformation findet nicht im Rechenzentrum statt – sondern im Selbstverständnis des Berufs.

Technische Konsequenz: Datenräume, Auditierbarkeit, Souveränität

Je stärker KI integriert wird, desto wichtiger werden drei Begriffe:

  • Datenräume & Souveränität: Was muss in eurer Hoheit bleiben?

  • Auditierbarkeit: Wie bleibt nachvollziehbar, wie ein Ergebnis zustande kam?

  • Architektur-Entscheide: Was kauft ihr zentral ein – und was gehört in den eigenen Layer?

Es geht nicht darum, alles selbst zu hosten. Es geht darum, bewusst zu entscheiden – und diese Entscheidung so umzusetzen, dass sie im Alltag tragfähig bleibt.

Was ich aus TES gelernt habe (und warum es mein Denken geprägt hat)

Anfang 2024 habe ich mit Treuhand Excellence Schweiz (TES) einen ersten spezialisierten KI-Prototypen gebaut: anonymisiert und nur ohne sensible Daten nutzbar. Über 800 Gespräche und sehr viel Feedback haben drei Dinge klar gemacht:

  1. Treuhand will KI – aber sie soll konkret helfen und fachlich nachvollziehbar bleiben.

  2. Generische Antworten sind ein guter Einstieg, reichen im Alltag aber nicht aus.

  3. Erst mit einem spezialisierten Wissens- und Datenlayer werden Ergebnisse wirklich treffsicher.

Für mich war das der Beweis: Zentrale KI öffnet die Tür.
Aber der Alltagserfolg entsteht im eigenen Betrieb – dort, wo Wissen, Prozesse und Kultur zusammenkommen.

Fazit: Kein Superhelden-Märchen – sondern ein realistischer Entwicklungspfad

Treuhand braucht KI.
Treuhand braucht einen eigenen Wissens- und Datenlayer.
Treuhand braucht Werkzeuge, die zur eigenen Spezialisierung passen.
Und vor allem: Treuhand braucht den Willen, Rolle und Kultur Schritt für Schritt weiterzuentwickeln.

Wenn wir diese Punkte verbinden, entsteht keine Superhelden-Geschichte. Sondern etwas Besseres: ein realistischer Pfad zu einer Treuhand 2030, in der KI unsere Arbeit fachlich vertieft – und nicht ersetzt.

Wenn du tiefer einsteigen willst

Den ursprünglichen LinkedIn-Artikel findest du hier:
https://www.linkedin.com/pulse/die-selten-ausgesprochene-wahrheit-zu-treuhand-ki-und-marco-maier-of8ke/

Wenn du als Treuhandbetrieb oder Finance-Team 2026 konkret starten willst: Ich begleite vor Ort in der Deutschschweiz – pragmatisch, strukturiert, ohne Hype, mit Fokus auf CH-konforme Umsetzung und echte Entlastung.

Falls du Unterstützung benötigst dann schreib mir kurz, dann sprechen wir zusammen darüber, wo bei euch der schnellste und sauberste Einstieg liegt.

Herzlich, Marco